Von den Superintendenzen A.B. und H.B. Böhmen und Mähren der Evangelischen Kirche in Österreich zu der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder
Die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder beruft sich auf das Erbe der Böhmischen Reformation. Diese wurde Anfang des 15. Jahrhunderts von einer Gruppe von Theologen um Jan Hus an der Spitze angestoßen und entwickelte sich weiter vor allem in der utraquistischen Kirche und der Brüderunität. Diese Tradition wurde bald darauf auch vom Austausch der deutschen und schweizerischen Reformation beeinflusst. Ende des 16. Jahrhunderts gab die Brüderunität die erste tschechische Bibelübersetzung heraus. Nach zwei Jahrhunderten der Entfaltung des Protestantismus in den böhmischen Ländern beginnt mit dem Dreißigjährigen Krieg die lange Zeit der Rekatholisierung. Viele Protestanten konvertierten zwangsweise zur römisch-katholischen Kirche. Ein Teil ging ins Exil. Manche Evangelische praktizierten ihren Glauben heimlich und waren Verfolgungen ausgesetzt.
Nachdem Kaiser Joseph II. 1781 das Toleranzpatent erlassen hatte, entstanden Gemeinden lutherischen und helvetischen Bekenntnisses, zunächst vor allem auf dem Land, später immer mehr auch in den Städten. Seit dem 19. Jahrhundert wuchs auf beiden Seiten der Konfessionalismus. Der damalige Protestantismus in den böhmischen Ländern war eine national gemischte Gemeinschaft, in der auch deutsch und polnisch sprechende Protestanten ihren vollwertigen Platz hatten. Infolge der tschechischen nationalen Wiedergeburtsbewegung wurde vielen Protestanten ein Geschichtsbild wichtig, in dem die Tradition der Böhmischen Reformation die zentrale Linie der nationalen Geschichte bildet.
Kurz nach der Gründung der Tschechoslowakischen Republik entstand im Dezember 1918 die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder. Diese Gründung wurde vor allem von Angehörigen der Prager lutherischen Gemeinden mit den etwas reservierten Reformierten betrieben. Die pietistischen Kreise beteiligten sich nicht. Am Beginn der EKBB steht die Vision einer Volkskirche für die tschechische Nation. Damit waren die in der Tschechoslowakei lebenden deutschen und polnischen Protestanten ausgeschlossen. Die Mitgliederzahlen der Kirche wuchsen zwar bis in die fünfziger Jahre, die Kirche blieb aber eine Minderheit in der Gesellschaft sowie gegenüber der katholischen Kirche. Zu ihren Grundlagen gehört die presbyterial-synodale Verfassung. Seit 1953 ordiniert sie Frauen.
Es waren nur Einzelne, die sich während des Kriegs aktiv am Widerstand beteiligten (manche wurden verhaftet oder fielen), sich für Juden oder die nach dem Krieg vertriebenen Deutschen einsetzten. Nach dem Krieg entstanden einige Gemeinden aus rückkehrenden Emigranten früherer Jahrhunderte. Die kirchlichen Eliten versuchten in den freieren 20er und 30er Jahren, aber mit abnehmender Tendenz auch in den ersten Jahrzehnten nach der kommunistischen Machtübernahme (1948) einen Einfluss auf das gesellschaftliche und politische Leben geltend zu machen. Mit der Zeit und unter dem Druck des atheistischen Staats und seiner Einschränkungen des kirchlichen Lebens und der Verfolgungen setzte sich allmählich eine defensive Kirchenpolitik der Nicht-Einmischung durch, die stellenweise sogar opportunistisch war. Die Kirche verlor Zugang zu weiten Kreisen der Gesellschaft als ihr die Matrikelführung verweigert wurde, als ihre Arbeit mit Kindern und Jugendlichen eingeschränkt wurde und sie Zentren der Sozialarbeit verlor. Die Mitgliederzahl fiel stetig. Engere Kreise der Kirche bemühten sich weiterhin um einen kritischen Dialog mit dem Staat, doch ihre Mitglieder verloren die Möglichkeit zur Berufsausübung oder kamen sogar ins Gefängnis.
Die Kirche zog sich weitgehend auf den eigenen Raum zurück, kümmerte sich um Gemeindearbeit und die dazu dienstbare theologische Arbeit. Ende der 70er Jahre wurde nach ökumenischer Übersetzungsarbeit die neue Bibelübersetzung herausgegeben. Die Christen suchten nach alternativen Formen kirchlicher Arbeit, insbesondere mit Jugendlichen; diese Arbeit war jedoch stets davon bedroht, einen neuen Konflikt mit den Behörden zu provozieren.. Im zweiten Jahrzehnt des Kommunismus entsteht ein neues Gesangbuch und zugleich blüht die Dichtung neuer Lieder.
In den drei Jahrzehnten nach dem Fall des Kommunismus sucht die Kirche in vollem Bewusstsein ihres Minderheitenstatus ihren neuen Platz in der Gesellschaft, der sie sich öffnet. Dabei knüpft sie sowohl an traditionelle gemeindliche und biblische Arbeit an als auch an die Bereitschaft für die Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen. Noch vor der Wende erneuert sie die Arbeit der Diakonie. Es werden Seelsorgedienste im Militär, im Gesundheitswesen, in Gefängnissen eingerichtet. Die Kirche gründet sieben Schulen und sie betreibt mehrere Erholungsheime. In den letzten Jahren bereitet sie sich auf die finanzielle Unabhängigkeit vom Staat vor. Während der ganzen Zeit ihrer Existenz ist die Kirche fest in wachsenden ökumenischen und internationalen Beziehungen verankert. Zum hundertsten Jubiläum ihrer Gründung, in einer veränderten gesellschaftlichen Situation stellt die Kirche ihre Gewohnheiten und Traditionen auf den Prüfstand und fragt nach neuen Arbeits- und Frömmigkeitsformen und denkt über ihre Rolle in der Welt nach.
Die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder hat heute ca. 70 000 Mitglieder, die in 250 Gemeinde auf dem ganzen Gebiet der Tschechischen Republik leben. Die Kirche arbeitet mit Kindern und Jugendlichen, tritt in der Öffentlichkeit auf, gibt Bücher und Zeitschriften heraus, betreibt Internetseiten und andere neue Medien. Die künftigen Pfarrer werden an der Evangelisch.theologischen Fakultät der Karlsuniversität ausgebildet.
Foto: Jan Polak, Evangelische Salvatorkirche in der Prager Altstadt
* 1925 Wien, Österreich
+ 2018 Prag, Tschechische Republik
Alfréd Kocáb war Pfarrer der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder (EKBB). In seiner Person verbindet er vielfältige kirchliche, religiöse und kulturell-politische Traditionen. In seiner Tätigkeit als Pfarrer deckt er ein breites Spektrum von Einflüssen und Aktivitäten ab.
Alfréd Kocáb wird als jüngerer von zwei Brüdern in einer tschechischen Familie in Wien geboren. Seine Mutter erzieht ihn im römisch-katholischen Glauben. Er will Priester oder Missionar werden. Der Vater ist die meiste Zeit abwesend. Kocáb verweigert im 2. Weltkrieg den Eintritt in die Armee und ist deswegen im Zwangseinsatz. Er arbeitet unter anderem für die Firma Siemens in einer unterirdischen Fabrik gemeinsam mit Häftlingen eines Außenlagers des KZ Mauthausen. Nach dem Krieg zieht er nach Prag. Er studiert Philologie, geht dann aber an die Hochschule für Politik und Gesellschaft. Er tritt in - die kommunistische Partei ein und noch vor ihrer Machtübernahme 1948 wieder aus. Vor seinem Studium der evangelischen Theologie überwirft er sich mit dem Katholizismus und macht sich auf die geistliche Suche, unter anderem in fernöstlichen Religionen. Er gelangt schließlich zu einem mystischen Erlebnis. Dieses führt ihn zur Neuentdeckung von Jesus Christus und zum Eintritt in die EKBB. 1952 heiratet er die Psychologin Darja Myslivečková und hat mit ihr zwei Kinder. Von seinem Lehrer J.LHromádka übernimmt er die Offenheit für verschiedene Strömungen des Christentums und die Betonung der Verantwortung der Christen für Gesellschaft und Politik. Eine positive Beziehung zum Realsozialismus lehnt er ab. Auf dieser Grundlage entsteht die Bewegung „Neue Orientierung“ aus evangelischen Pfarrern und Laien. Sie konzipiert eine neue, „zivile“ Interpretation des Evangeliums. Die Bewegung bemühte sich um einen kritischen Dialog über Reformen. Aufbauend auf dieses Engagement unterzeichnet Kocáb die Charta 77 die die Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen in der ČSSR öffentlichkeitswirksam kritisiert. Wegen seiner bürgerlichen Aktivitäten zwingen die staatlichen Behörden ihn zwei Pfarrstellen aufzugeben. Zwischendurch hilft ihm sein theologisches und praktisch-religiöses Bewusstsein in einer Weiteren bei der Vermittlung zwischen traditionellen und pfingstlerischen Bewegungen. Nachdem er die staatliche Erlaubnis zum geistlichen Dienst ein zweites Mal verliert, setzt er seine Gemeindearbeit gegen den Widerstand der Kirche, aber mit Unterstützung der Gemeinde fort. Er leistet ehrenamtlichen Dienst „ohne Talar“. Beschäftigt ist er in einfachen Arbeiten, z.B. als Heizer. Mit seiner Hilfe knüpfen die Brüder von Taizé Kontakte in die CSSR. Er unterhält Beziehungen zu Christen aus weiteren Ländern: Deutschland, Frankreich, Niederlande, Großbritannien. Besonders nachdem er zum zweiten Mal die staatliche Erlaubnis verliert, beteiligt er sich an den Aktivitäten der Dissidenten. An den unterirdischen Heizkesseln findet er Trost in den Tiefen christlicher Mystik angesichts der Verachtung, die er von Seiten der Kirchenleitung und einiger Kollegen spürt, sowie angesichts der Schikanen der Geheimpolizei. Hier wirkt er als Seelsorger. Seit der zweiten Hälfte der 80er Jahre kann er schrittweise zur Arbeit als Pfarrer zurückkehren – zunächst als Prädikant. Noch vor 1989 wird er an die berühmte Salvatorkirche im Zentrum von Prag berufen. Dort wirkt er bis zu seiner Pensionierung Ende der 90er Jahre. Seine Tätigkeit wird nun von Kirche und Staat anerkannt: Präsident Václav Havel zeichnet ihn mit der Verdienstmedaille aus. Kocáb gilt heute als begabter Prediger, der die Balance zwischen Verantwortung für das Leben des Menschen und der Gesellschaft einerseits und einem tiefen Glauben andererseits zu wahren vermochte.
Text: Michael Pfann
Foto: Archiv EKBB
Evangelische Salvatorkirche Prag
Salvátorská 1, 110 00 Praha 1 Staré Mesto
16:00 Orgelmusik
16:05 Eröffnung der Ausstellung, Begrüßung Oliver Engelhardt
16:10 Geistliches Wort, Synodalsenior Daniel Ženatý
16:20 Orgelmusik
16:25 Einführung in die Ausstellung, Bischof Reinhart Guib
16:35"Das Lebensbild des Alfréd Kocáb", Michael Pfann
16:50 Erinnerungen an Alfréd Kocáb, Familie Kocáb
17:00 Orgelmusik
Umtrunk
Foto: Stefan Bichler
Die Veranstaltung wird in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder und dem Deutschen Forum östliches Europa, Potsdam, durchgeführt
Die Stationen Prag und Teschen werden gefördert von: